Fahrerei

Mittwoch, 1. Februar 2012

Verwirrung

In Berlin leben viele Hipster. In Berlin leben viele Obdachlose, Bedürftige, arme Menschen, wie auch immer man sie bezeichnen möchte. Verwirrend ist: Optisch sind diese kaum zu unterscheiden.

Das soll keine Polemik sein, ich habe weder gegen die eine noch die andere Gruppe etwas, solange sie mir in der S-Bahn nichts auf ihren Trompeten vorspielt und dafür Geld verlangt. Beide Gruppen gehören zu unserer Gesellschaft, beide machen sie vielfältiger, beide sind in Berlin einfach haufenweise unterwegs.

Aber die sonstigen Parallelen sind beeindruckend. Auffällig: die Hipster nähern sich den Clochards an, nicht umgekehrt. Ich habe da mal eine Liste gemacht.

- Waldschratoptik bei den Männern. Seit einiger Zeit sind lange Haare, zum Dutt hochgetüdelt, und recht üppiger Vollbart, bei den jungen Hipstern hochmodisch.
- Heilsarmee-Klamotten. Ich weiß nicht warum, aber Hipster sind in Berlin oft derbe schlecht angezogen. Das funktioniert in Streetstyle-Fotoblogs vielleicht und kommt einigermaßen lässig rüber, aber in der U-Bahn sieht es einfach so aus, als hätten sie den nächsten Altkleiderkontainer geleert.
- Musik machen in der U-Bahn. Es häufen sich die jungen Singer/Songwriter, die im ÖPNV ihre neuesten Stücke vortragen und danach frohsinnig den Beutel herumgeben. Pah.

Das alles summiert sich fröhlich, so dass ich nicht mehr weiß, wer nun wer ist. Ich finde das insofern positiv, als dass ich jungen männlichen Obdachlosen aktuell ganz offen entgegentrete und nicht nur wegsehend Geld hinwerfe oder mit aktivierten Scheuklappen an ihnen vorbeilaufe. Man weiß ja nie, vielleicht ist es ein Hipster! Das ergänzt sich wahrscheinlich aufs Schönste mit Theorien über das moderne Prekariat der Kreativ-Szene, zu der sich die Hipster offenkundig zählen. Hier verwischen die Grenzen, die Optik wird den Karrierechancen angepasst.

Ach, Berlin!

Freitag, 11. November 2011

Die Deutsche Bahn

Ich weiß gar nicht, wie lange das schon her ist, aber bis vor ein paar Wochen hatte die DB ein Mitfahrerprogramm im Angebot. Auch die Konditionen weiß ich nicht mehr, weil ich mich immer so wunderbar schlecht gelaunt auf die Anzeigen-Motive gestürzt habe.

Das Konzept ging sinngemaäß so: wenn man zu zweit fährt, wird es günstiger. Um das zu unterstreichen, wurden Plakate veröffentlicht, die einige, in der Vorstellung der Bahn, wohl repräsentative 2er-Konstellationen von Menschen zeigen, die miteinander Zug fahren. Das ergab eine eindrucksvolle Vorstellung des Frauenbildes, das die deutsche Bahn hat.

Sehr attraktive junge Frauen mit langen Haaren fahren mit graumelierten Männern Bahn, die von ihnen geküsst werden.

Mittelattraktive Frauen, etwas älter, fahren mit ihren Freundinnen Bahn.

Alte Frauen fahren mit jungen Frauen Bahn, wahrscheinlich ihre Enkelinnen. Oder mit alten Männern.

Finde ich doll. Es scheint die Bahn wirklich vor Schwierigkeiten zu stellen, wenn man Frauen nicht mit Kinder als Deko ablichten kann, denn Kinder fahren bis 15 Jahren kostenlos mit und passen daher nicht in diese Aktion. Aber wenn attraktive Frauen keine Kinder haben, dürfen sie auch nicht mit potenten Männern abgelichtet werden - das wäre wahrscheinlich zu modern, so eine wilde Ehe. Doch die Konstellation Geliebte/älterer Mann, das geht, das ist klassisch, da kommt niemand auf dumme Gedanken und es ist klar, wer da der Überlegene ist.

Oder gar geschlechtgemischte Freundespaare - zu wild, zu missverständlich, oder - ja, warum nicht! - gleichgeschlechtliche Pärchen. Neinnein, Frauen behalten bitte ihre althergebrachten Rollen bei - als Ehepartnerinnen, Geliebte, Freundin. Nicht mal eine Geschäftsreisende hat man sich abringen können, die ihren Assistenten dabei hat.

Schade eigentlich.

Dienstag, 1. November 2011

Nahverkehr

Der Berliner ÖVNP ist eine Nummer härter als die norddeutsche Version, und das liegt nicht an der Alkohol-Erlaubnis. Einige Erlebnisse aus den letzten Wochen:

- Eine Frau wird im Berufsverkehr so belästigt, dass sie den Belästiger heftig anfährt, damit auszuhören. Was sie meint, wird nicht klar, da der Grund zur Beanstandung offensichtlich eingestellt wird (ich habe nachgefragt). Es bleibt ein komisches Gefühl.
- Obdachlose nutzen die U-Bahn zum Aufwärmen, und es gibt hier viele Obdachlose. Das ist grundsätzlich für mich okay, aber die Gerüche sind teilweise heftig.
- Partyvolk im Berufsverkehr sondert auch extreme Gerüche ab und amüsiert zusätzlich durch Absonderung merkwürdiger verbaler Ergüsse. Dicke haarige Briten in engsten Jeans brüsten sich ihrer Eroberungen, dünne deutsche Jungs reflektieren ihre Zeit als Call-Boys, es wird munter mit rosa Getränken geschwenkt - die Nacht ist offensichtlich noch nicht zu Ende, bloß weil andere Leute arbeiten gehen.
- Musik liegt in der Lust. Der Hammer war vorgstern der Trompeter (!) in der S-Bahn. Ungelogen, ungedämpft, einfach authentisch.

Vielleicht doch wieder aufs Land ziehen und Auto fahren?

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Die post-youtube-Ära

In Berlin ist es noch viel ausgeprägter als in Hamburg: musizierende Menschen, die zum Geld verdienen die S-Bahn besteigen und loslegen. Das Angebot ist vielfältiger als im Norden: statt einer Südamerikanerin, die den lieben langen Tag die S31 befährt und "Marina" singt, bis man es nicht mehr ertragen will, ist hier so ziemlich alles vertreten: wahnsinnig schnell dudelnde Flötenspieler (das sind die schlimmsten), Akkordeone (das sind die lautesten), Gesingereien, Violinen, Kammer - äh, Bahn-Quartetts. Gestern gab es ein Novum: ein junger offensichtlich deutscher Mann stellte seinen neuen Song "Frei" mit Begleitung seiner Gitarre vor. Dazu fielen mir zwei Dinge auf.

Mein Gehirn verlangte, bevor ich es zur Ordnung rufen konnte, impulsiv danach, dem jungen deutschen Mann Geld zu geben. Schnell züchtigte ich es; ich gebe prinzipiell niemanden Geld, der mich in der Bahn akustisch belästigt und mich zwingt, zuzuhören. Aber erstaunlich, wie schnell ich da bereit bin, Zugeständnisse zu machen, wenn der Musiker optisch meinem Sozialisationshintergrund entspricht!

Weiterhin hatte der junge Mann seiner Meinung nach Star-Qualitäten und war ein echter Rocker. Ich hatte fast erwartet, dass er nach seiner Performance anfängt, seine CD zu verkaufen. Er war auch offensichtlich nicht gut auf die Bühne im ÖPNV vorbereitet, weil er sonst wahrscheinlich nur am Lagerfeuer und in Clubs spielt: sein Stück dauerte genau 1,5 Haltestellen lang, was natürlich blöd ist, weil die Hälfte des unfreiwilligen Publikums während des Liedes ausstieg.

Ich frage mich trotzdem: erreicht er damit vielleicht sogar mehr Leute als über Youtube? Kann er das für seine Biographie gut verwenden? "Mein erstes Geld mit der Musik verdiente ich in der Berliner S-Bahn..." Mal sehen. Ich verfolge das weiter.

Aber Geld gebe ich trotzdem nicht.

Dienstag, 11. Oktober 2011

Respekt

Tagtäglich merke ich, dass ich nun in Zusammenhängen arbeite, in denen mir Respekt gezollt wird, ich meine Rechte selbsverständlich einfordern kann, das Gesetz funktioniert und Sicherheit großgeschrieben wird:

Ich kann absolut bedenkenlos, quasi mit geschlossenen Augen, ohne auch nur den Hauch eines links- und-rechts-schauen den Zebrastreifen vor meinem Arbeitsgebäude überqueren - und die Autos halten an.

Man sollte sich nicht zu schade sein, auch die kleinen Triumphe zu feiern.

Montag, 3. Oktober 2011

Pendelei

Die Strecke Berlin-Hamburg ist per Zug enorm gut ausgebaut. Ein Mythos besagt, dass dies an der Freundschaft Wowereit-Von Beust liegt, die die Strecke ausbauen ließen, um sich öfter besuchen zu können. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
ICEs verkehren stündlich ohne Zwischenhalt, so dass sich die Fahrtzeit auf 1:41h beschränkt. ECs und ICs ergänzen dies, brauchen etwas länger und sind günstiger. Das führt dazu, dass die Mitfahrgelegenheit per Auto enorm unattraktiv wird - 3 Stunden zusammengepresst mit unterhaltungswütigen Mitmenschen, die Salamibrote essen und verlangen, dass das Radio lauter gestellt wird. Von Staus, zu diskutierenden Pinkelpausen (oder auch keine Pinkelpausen), gefühlten viel zu schnellen oder zu langsamen Fahrern, leichter Übelkeit beim Lesen und merkwürdigen Absetzpunkten ("Ich lass Dich an der Schönhauser Allee raus, das ist praktisch Kreuzberg!" Mhm.) ganz zu schweigen. Und das alles für eine Differenz von 7,5 Euro pro Fahrt bei rechtzeitiger Buchung des Zuges... die Entscheidung fällt leicht!

Im ICE sitzen viele Pendler, die beim Erscheinen des Schaffners nur noch lässig ihre Bahncard 100 zücken und wissend schauen. Die werden allerdings auch am Bösesten, wenn der Zug Verspätung hat. Und die hat er fast immer. Wie auch immer das zu schaffen ist bei den Bedingungen, aber es ist ein Fakt und auch ich gäre dann immer in meinem Sitz vor mich hin. Anders als ich haben die BahnCard100-InhaberInnen eine Anspruchshaltung und flippen dann auch mal gepflegt aus, wenn der Schaffner kommt. Das Zücken der Bahncard sieht immer noch lässig aus, alles andere ist pure Gehässigkeit. Ich behaupte mal, mit Stewardessen macht man das nicht.

Ach, liebe Leute, versucht es mal mit der Mitfahrgelegenheit im Auto. Oder fliegt doch einfach. Der Zug ist das Beste, was es gibt.

Über mich und diesen Blog

Ich bin weiblich, 31 Jahre alt, Soziologin und arbeite seit kurzem im Bundestag als Referentin für die Fraktion einer großen Oppositionspartei. Über die Erlebnisse im Politikbetrieb möchte ich hier gerne berichten, da ich da absolut neu bin und es sehr interessant finde, die Strukturen und die Inszenierung von Macht live zu erleben. (Yeah, Soziologendeutsch!) Namen aus "meiner" Fraktion werde ich nicht nennen, auch wenn vielleicht ab und zu nachvollziehbar ist, um wen es geht. Ich arbeite im Gleichstellungsbereich, also wird es hier überdurchschnittlich oft Beiträge geben, die etwas mit Geschlechterverhältnissen zu tun haben. Da ich außerdem neu in Berlin bin, ist das Berlinerische an sich berichtenswert für mich. Privates versuche ich mal außen vor zu lassen, was vielleicht wegen meines Hanges zum Tratsch nicht immer klappen wird... Meine Vita in kurz: nach dem Aufwachsen auf dem ländlichsten aller Landstriche nutzte ich die Gelegenheit, die das Abitur bot, und verzog mich nach einem einjährigen Werbepraktikum zum Studieren der Soziologie nach Bremen. Das war super, vor allem die Zeit im Studentenwohnheim und meine Arbeit in der Kundenbetreuung eines Mobilfunkanbieters gehören zu meinen schönsten Erinnerungen. Ein Jahr arbeitete ich danach als Assistentin der Geschäftsführung in einem feministischen freien Träger, bis mir die Feministinnen zu arg wurden und ich der Liebe und der Familie und des Berufes wegen nach Hamburg ging. Meine erste Referentinnenstelle fand in einer Hamburger Behörde statt, befristet. So tat es kein Wunder, dass die Wirtschaftskrise und die Hamburger Neuwahlen-Krise mich in meine persönliche Arbeitslosigkeits-Krise stürzten. Es folgten einige Monate ALG1 und dann das Angebot aus Berlin - halbe Stelle, supi bezahlt. Ich zog um. Das hat viel Pendeln wegen Wochenendbeziehung zur Folge, aber auch die Tatsache, dass ich das erste Mal in meinem Leben ganz alleine wohne. Die WG-Zeit ist vorbei. Es ist also alles spannend, und daher dieser Blog. Viel Spaß.

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