Dienstag, 18. Oktober 2011

Revolution!?

Siemens will seinen Anteil von Frauen in Führungspositionen in den nächsten drei Jahren von 10 auf 12% steigern. Volkswagen ist sich nicht zu schade, folgende Ziele zu formulieren: Obere Führungsebene 11 Prozent bis Ende 2020, mittlere Führungsebene 12 Prozent bis Ende 2020, untere Führungsebene 15 Prozent bis Ende 2020. Ausgenommen sind bei diesen Zahlen die Aufsichtsräte und Vorstände.

Na prima! Frau Schröder hat eine Wette gewonnen, also zumindest einen persönlichen Erfolg eingefahren. Aber sonst: was soll das denn, bitte? Das ist doch genau dieselbe Verhöhnung der Politik durch die Wirtschaft wie 2001, als das Gleichstellungsgesetz zu Gunsten von freiwilligen Selbstverpflichtungen gekippt wurde. Was so unelegant, aber effektiv umschifft wird: der Anteil von 30% Frauen, die eine Änderung der Führungskultur bewirken würden und damit ein frauen- oder familienfreundlicheres, also nennen wir es humaneres Klima schaffen würden, das zum Beispiel Privatleben zulassen würde oder verlässliche Arbeitszeiten, um mal ein paar Beispiele zu nennen, die Führungspositionen für Menschen mit Anspruch an ein eigenes Leben schwierig machen.

Dieses kleinschrittige Flexiquoten-Gedöns macht mich regelrecht zornig. Warum ist es hierzulande so schwer, Nägel mit Köpfen zu machen und eine gesetzliche Quote einzuführen mit ordentlichen Sanktionen bei Nicht-Einhalten? Das Perfide: ich bin mir nicht einmal sicher, ob ein Regierungswechsel den erforderlichen Kick auslösen würde. Gabriel, Steinbrück und Steinmeier als das Dreigestirn der Quote? Öhm. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Impi - 19. Okt, 08:03

Le Schröder

Ob sich die Damen der Schöpfung wohl auch mit gleichem Herzblut für Quotenregelungen bei der Müllabfuhr oder im Kindergarten einsetzen würden?

In meinen Augen ist diese ganze Quotendebatte letztlich eher die letzte symbolische Schlacht der zweiten Welle des Feminismus. Es wird nicht hinterfragt, dass diese Jobs klar klassisch "männlich" konnotiert und durch Netzwerke statt Leistungen vermittelt werden. Oder anders ausgedrückt: Selbst wenn Quotenregelungen greifen, ändert es nichts daran, dass man menschlich das letzte Arschloch sein muss, um auf seinem Stuhl Platz zu nehmen.

Ich weiß, dass es immer ein reaktionäres Geschmäckle hat, aber ich bin fest überzeugt, dass zwischen dem Fordern von Quotenregelungen und dem Hinterfragen von Geschlechterrollen ein unüberbrückbarer Widerspruch liegt. Man kann nicht das eine tun und das andere Wollen.

sakra - 19. Okt, 08:52

Wohl wahr, aber ich finde nicht, dass da unbedingt ein immanenter Widerspruch zu finden ist. Wenn mehr Frauen in Führungspositionen zu finden sind, wird sich dort die Führungskultur ändern und nicht-arschlochfreundlicher werden, zumindest vielfältiger. Alte weiße reiche Männer können nicht mehr nur jüngere weiße reiche Mäünner nachrücken lassen - es ist ein Anfang.
Impi - 19. Okt, 23:15

Ach, aber das mit den Frauen, die das "Klima" verbessern, ist doch auch so ein Rollen-Klischee. Sobald eine Frau im Hosenanzug steckt und keinen Partner mehr findet, weil sie zuviel verdient, wird sie genauso kaltherzig wie der weiße Mann.

sakra - 20. Okt, 12:41

Ich meinte auch nicht das "Klima" - man kann sich nicht vorstellen, wieviele unangenehme Frauen ich im Berufsleben schon erlebt habe - sondern von Arbeitsbedingungen. Sitzungen nach 17:00 Uhr sind eben schwer mit Kita-Öffnungszeiten oder meinetwegen dem wöchentlichen Modelltruck-Clubabenden zu vereinbaren, das würde ein Mann allerdings ungerner zugeben als eine Frau. Frauen sagen tatsächlich: "Da kann ich nicht, da muss ich mein Kind abholen." Männer können immer, ob sie nun können oder nicht. Wenn 30% der Anwesenden sagen: "Da kann ich nicht, da muss ich mein Kind abholen" oder dies sogar die Vorsitzende des Gremiums sagt, Termine also da einfach nicht mehr stattfinden, könnte man die Arbeitswelt viel einfacher mit dem Privatleben vereinbaren. Und nun stelle man sich vor, das wäre auch in Führungspositionen der Fall! Doll.
Impi - 20. Okt, 23:39

Du bleibst aber bei einem spezifisch weiblichen Verhalten, dass Du zwischen den Zeilen durchaus auch noch als "irgendwie besser" beschreibst. Wenn es erst Frauen in Führungsposten bedarf, damit sich die Chefs um Kita-Öffnungszeiten Gedanken machen, kann man sich die Gender-Perspektive auch schenken.

sakra - 21. Okt, 10:21

Wieso kann man sich das dann schenken?

Außerdem ist das nicht spezifisch weiblich und hat nicht nur mit Kitas zu tun, sondern einfach mit Arbeitsbedingungen. Ich kenne auch viele Männer, die gerne eine verlässliche 35h-Stunden-Woche hätten. Ich habe keine Kinder und fände es auch angenehmer, wenn klar ist, wann ich nach Hause gehe und nicht spontan zwei Stunden länger bleiben muss.

Es wäre einfach schön, wenn Leben und Arbeit sich besser vereinbaren lassen würde. Und ja, ich denke, ein Schritt dahin wäre eine größere Anzahl von Frauen in Führungspositionen. Von Fachkräftemangel, sozialer Absicherung, schlechtbezahlten frauentypischen Berufen und Teilhabe etc rede ich ja nicht einmal, wobei das auch sehr wichtige Punkte sind.
Impi - 23. Okt, 02:16

Gender bedeutet, nicht auf Basis dessen zu argumentieren, was der Mensch zwischen seinen Beinen hat, sondern wie sich Mensch fühlt. Quotenregelungen hingegen basieren auf den biologischen Unterschied. Darum ist das ein Widerspruch. Entweder, man macht sich stark dafür, nicht mehr über Geschlecht sondern über Identität zu reden, oder man will einfach mehr Vaginas in der Führungsebene.

Und was die verlässliche 35-Stunden-Woche angeht: Die Realität sieht eben anders aus. Selbst in Frankreich ist die 35-Stunden-Woche politisch kaum noch zu halten. Wir retten Banken, keine arbeitsnehmerfreundlichen Tarifverträge. Die Menschen arbeiten in prekären Ausbeutungsverhältnissen, gerade die Jungen. Und das bisschen Geld, was sie verdienen, können sie gar nicht schnell genug für irgendeinen Konsumscheiß asugeben. Die Frage nach dem Geschlecht mag in den 1980er-Jahren relevant gewesen sein. Heute ist die gesellschaftliche Realität längst wieder dahinter zurückgefallen. Selbst wenn Kitas 24-Stunden am Tag geöffnet hätten, immer weniger Menschen könnten sich überhaupt einen solchen Kita-Platz leisten.

sakra - 24. Okt, 16:34

"Gender bedeutet, nicht auf Basis dessen zu argumentieren, was der Mensch zwischen seinen Beinen hat, sondern wie sich Mensch fühlt. " Also da musst du deinen Judith Butler nochmal lesen :-) Gender ist der Begriff für das soziale Geschlecht und schließt das biologische Geschlecht nicht zwingend aus. Da geht es nicht nur um Gefühle, sondern um Verhalten und die nicht-geschlechtsneutrale Realität.

Außerdem hat die Piraten-Partei gerade sehr schön bewiesen, dass das biologische Geschlecht eben immer noch eine große Rolle spielt. Mal einfach eine Partei als Post-Gender zu bezeichnen und dann exakt eine Frau auf 15 Listenplätzen zu präsentieren: failed. Wenn man das Geschlecht nicht berücksichtigt, sind Frauen unterrepräsentiert. Das ist der Stand der Dinge. Solange das so ist, finde ich eine Quote sinnvoll und die Frage nach dem Geschlecht relevant.
Impi - 25. Okt, 07:42

Ab diesem Punkt wirds für mich autoritär. Die emanzipatorische Grundidee schlägt in den Wunsch nach Zwang um. Da mag ich nicht mitgehen.

Über mich und diesen Blog

Ich bin weiblich, 31 Jahre alt, Soziologin und arbeite seit kurzem im Bundestag als Referentin für die Fraktion einer großen Oppositionspartei. Über die Erlebnisse im Politikbetrieb möchte ich hier gerne berichten, da ich da absolut neu bin und es sehr interessant finde, die Strukturen und die Inszenierung von Macht live zu erleben. (Yeah, Soziologendeutsch!) Namen aus "meiner" Fraktion werde ich nicht nennen, auch wenn vielleicht ab und zu nachvollziehbar ist, um wen es geht. Ich arbeite im Gleichstellungsbereich, also wird es hier überdurchschnittlich oft Beiträge geben, die etwas mit Geschlechterverhältnissen zu tun haben. Da ich außerdem neu in Berlin bin, ist das Berlinerische an sich berichtenswert für mich. Privates versuche ich mal außen vor zu lassen, was vielleicht wegen meines Hanges zum Tratsch nicht immer klappen wird... Meine Vita in kurz: nach dem Aufwachsen auf dem ländlichsten aller Landstriche nutzte ich die Gelegenheit, die das Abitur bot, und verzog mich nach einem einjährigen Werbepraktikum zum Studieren der Soziologie nach Bremen. Das war super, vor allem die Zeit im Studentenwohnheim und meine Arbeit in der Kundenbetreuung eines Mobilfunkanbieters gehören zu meinen schönsten Erinnerungen. Ein Jahr arbeitete ich danach als Assistentin der Geschäftsführung in einem feministischen freien Träger, bis mir die Feministinnen zu arg wurden und ich der Liebe und der Familie und des Berufes wegen nach Hamburg ging. Meine erste Referentinnenstelle fand in einer Hamburger Behörde statt, befristet. So tat es kein Wunder, dass die Wirtschaftskrise und die Hamburger Neuwahlen-Krise mich in meine persönliche Arbeitslosigkeits-Krise stürzten. Es folgten einige Monate ALG1 und dann das Angebot aus Berlin - halbe Stelle, supi bezahlt. Ich zog um. Das hat viel Pendeln wegen Wochenendbeziehung zur Folge, aber auch die Tatsache, dass ich das erste Mal in meinem Leben ganz alleine wohne. Die WG-Zeit ist vorbei. Es ist also alles spannend, und daher dieser Blog. Viel Spaß.

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