Mittwoch, 18. April 2012

Danke, verarschen können wir uns selber!

Kristina Schröder, von Amts wegen Frauenministerin, stellte gestern abend in Berlin ihren Erstling "Danke, emanzipiert sind wir selber!" vor. Ort des Geschehens: Prenzlauer Berg, hippe Location, ausgebucht bei freiem Eintritt. Am Eingang finden sich neben recht homogenen weiblichen Publikum um die 35 Jahre +/- 10 eine kleine Gruppe linksautonomer Feministinnen, die wacker Plakate hochhalten und Flyer verteilen. Ich bin vergnügt und entere den Raum.

Drinnen finden sich viele Kolleginnen, die explizit zum bashen gekommen sind bzw. fachlich interessiert sind. Das Buch selber ging gestern in der Fraktion von Hand zu Hand. Der Inhalt ist inzwischen bekannt: Frau Schröder stellt keine Konzepte vor, sie macht keine Vorschläge. Sie, als Familienministerin, erklärt das Private zum Privatem und erklärt, jede/r könne doch mal mit den Vorgesetzten sprechen, in der Familie aushandeln und zack! das Leben führen, von dem schon immer geträumt wurde. Politik? Nee, wieso? Sie spricht als Privatfrau. Doof nur, dass das als amtierende Ministerin nicht funktioniert. Tatsächlich erwarten nicht wenige Menschen von ihr - ja, der Frauen- und Familienministerin! - Vorschläge, Unterstützung und Strukturen, die das Leben für Frauen und Familien leichter machen. Es muss ja nicht gleich ein Leitbild sein, aber ich persönlich würde mir das sogar sehr wünschen. Einen Faden, der mich in meinen Wahlmöglichkeiten etwas beschränkt und gegen den ich im Zweifelsfall ankämpfen kann. Nicht mit Frau Schröder.

Die Stimmung im Saal ist nicht freundlich, eindeutig nicht. Selbst die Moderatorin der Vorstellung nimmt die Autorin schwer in die Zange. Diese schlägt sich recht tapfer, immer wieder gestört von Zwischenrufen. Mir drängt sich unwillkürlich die Frage auf, warum Frau Schröder diese Veranstaltungsform gewählt hat. Offensichtlich hat sie vorab keine Pressekonferenz gegeben, denn die Presse ist gesammelt vor Ort. Die Nachfragen sind kritisch bis aufgeregt, junge Frauen outen sich als Feministinnen und erklären, dass sie mit Schröders Feminismusbild nichts anfangen können - mit ihrer Politik schon gar nicht. Schröder verweist auf die emotionale Debatte - "Schade, dass man dies in Deutschland nicht unverkrampft diskutieren kann!" -, die Location - "als Prenzlauer-Berg-Mutter ist man ja noch ganz anderen Klischees ausgesetzt" und eiert um Fragen herum. "Was ist mit der sozialen Frage?" ruft es aus dem Publikum. "Welche Frage?" fragt Schröder zurück und erläutert nach dem folgenden kleinen Aufruhr: "Die soziale Frage ist eine Frage des Menschenbildes, und ich vertrete ein liberales Menschenbild." Ah ja. Also nix mit sozialer Frage. Nix mit konsistenter Politik, überhaupt mit Politik. Das ist doch scheiße. Blöde Null. Ja, da werde auch ich emotional! Das ist nicht meine Ministerin. Aber so etwas wie Stolz regt sich in meiner Brust über den Protest, der sich im Publikum bemerkbar macht. Keine Revolution, aber Frauen, die wissen, was sie wollen. Politikmüdigkeit, Desinteresse, Rückzug in die Privatheit - es geht auch anders.

Falls also die Intention der Schröderschen Veranstaltung war, Prenzlberg-Muttis auf ihre Seite zu ziehen, ein neues Manifest der Durchschnittsfrau zu etablieren und sich feiern zu lassen, hat das leider mal so gar nicht geklappt. Ich bete nun für die Durchsetzung einer starren Quote, denn vielleicht tritt Frau Schröder dann zurück. Hat sie quasi so gesagt!

Über mich und diesen Blog

Ich bin weiblich, 31 Jahre alt, Soziologin und arbeite seit kurzem im Bundestag als Referentin für die Fraktion einer großen Oppositionspartei. Über die Erlebnisse im Politikbetrieb möchte ich hier gerne berichten, da ich da absolut neu bin und es sehr interessant finde, die Strukturen und die Inszenierung von Macht live zu erleben. (Yeah, Soziologendeutsch!) Namen aus "meiner" Fraktion werde ich nicht nennen, auch wenn vielleicht ab und zu nachvollziehbar ist, um wen es geht. Ich arbeite im Gleichstellungsbereich, also wird es hier überdurchschnittlich oft Beiträge geben, die etwas mit Geschlechterverhältnissen zu tun haben. Da ich außerdem neu in Berlin bin, ist das Berlinerische an sich berichtenswert für mich. Privates versuche ich mal außen vor zu lassen, was vielleicht wegen meines Hanges zum Tratsch nicht immer klappen wird... Meine Vita in kurz: nach dem Aufwachsen auf dem ländlichsten aller Landstriche nutzte ich die Gelegenheit, die das Abitur bot, und verzog mich nach einem einjährigen Werbepraktikum zum Studieren der Soziologie nach Bremen. Das war super, vor allem die Zeit im Studentenwohnheim und meine Arbeit in der Kundenbetreuung eines Mobilfunkanbieters gehören zu meinen schönsten Erinnerungen. Ein Jahr arbeitete ich danach als Assistentin der Geschäftsführung in einem feministischen freien Träger, bis mir die Feministinnen zu arg wurden und ich der Liebe und der Familie und des Berufes wegen nach Hamburg ging. Meine erste Referentinnenstelle fand in einer Hamburger Behörde statt, befristet. So tat es kein Wunder, dass die Wirtschaftskrise und die Hamburger Neuwahlen-Krise mich in meine persönliche Arbeitslosigkeits-Krise stürzten. Es folgten einige Monate ALG1 und dann das Angebot aus Berlin - halbe Stelle, supi bezahlt. Ich zog um. Das hat viel Pendeln wegen Wochenendbeziehung zur Folge, aber auch die Tatsache, dass ich das erste Mal in meinem Leben ganz alleine wohne. Die WG-Zeit ist vorbei. Es ist also alles spannend, und daher dieser Blog. Viel Spaß.

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